Tag 9 Sant`Arcangelo – Sassacci 145 km (1300 Höhenmeter) 40 Grad
- Ralph

- 24. Aug. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Mai 2023

Selbstmord! Das ist es was ich hier mache, heute kam es mir. Nicht die Navi-app versucht mich zu töten, die leistet nur Beihilfe. Morgens ging es schon los, von dem Moment an dem mir mein Körper meldete dass er auf`s Klo muss, bis zu dem Moment an dem es soweit war vergingen vielleicht 2 Minuten. Es war ganz arg knapp ansonsten wäre das in die Hose gegangen auf dem Campingplatz. Da ich heute Morgen noch zwei weitere Male von Meldung bis Durchführung zwei Minuten bekam, ich aber glücklicherweise in der Pampa unterwegs war, beschlich mich dann doch das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Imodium! Danach hört auch das gerumpel in meinem Magen auf und ich bekam wieder ein bisschen mehr Energie. Dann kam da noch eine Email die GANZ ARG DRINGEND SOFORT JETZT UNVERZÜGLICH bearbeitet werden musste. Also am Straßenrand Laptop raus, auf den Gepäckträger geöffnet (Ja ein Teil meines Gepäcks), Hotspot an. Gepäckoffice sozusagen. Mittlerweile stiegen die Temperaturen wieder an. Irgendwie war ich auf der Euro Velo 6 unterwegs, eine Schotterpiste, okay, aber halt nervig zu fahren, wenigstens keine Blechdosen. Frage mich aber warum man den Weg nicht teeren kann, naja dann würden wohl Autos drauf fahren, ist ja Italien, Absperrungen würden wohl demontiert, ach ja. Für italienische Verhältnisse war sogar ganz gut ausgeschildert, aber natürlich verlor sich das dann alsbald, sobald die Streckenführung wieder auf die Straße kam bzw war ich auch zu faul die Beschilderung zu suchen und folgte meinem Navi. Mal wieder 300 Höhenmeter hoch, in der Sonne, garantiert hätte ein Schotterweg um den Hügel geführt, garantiert. Egal, mittlerweile habe ich das ja ganz gut im Griff, gleich wieder runter, schöne Abfahrt, aber da merkte ich schon, hinten habe ich einen Platten und das nächste Drama begann. 3 x wechselte ich heute den Reifen, auch weil ich zu schludrig arbeitete und schnell weiter wollte habe ich wohl den Flicken nicht sauber aufgeklebt, und einmal ist mir noch das Ventil abgebrochen, was ich erst ein paar Meter später feststellte, wollte ja Strecke machen. Beim dritten mal Mantel runter fehlte mir dann die Kraft, das dauerte bis ich den runter hatte. Scheint als dass ich mir ein Fremdkörper im Mantelgummi eingefangen hab, kann ihn nicht identifizieren, ärgerlich. Kostete mich auch massig Zeit heute. Dann gegen Mittag irgendwann um 14 Uhr, zwischen Reifenwechsel 2 und 3, dachte ich ich sollte mal essen und hielt an einer Bar. Natürlich sollte ich und werde ab morgen auf Kaffee verzichten, heute noch mal (tat mir nicht gut), aber dafür eine Cola und Wasser aufgefüllt, schnell noch 2 Brötchen, hab mich rausgesetzt zum Essen, kam die junge Dame hinter der Theke dazu und wir unterhielten uns. Ob ich alleine bin, fragte sie. Ich bejahte, auf Tour schon, sagte ihr wie schön es hier ist. Und wieder das gleiche, sie lächelte traurig, eigentlich will sie hier weg, das kannte ich ja schon vom Frühjahr, alle jungen Mädchen wollen weg aus Italien, hab ich den Eindruck. Sie studiert Krankenschwester (ja in anderen Ländern ist das ein Studium) und arbeitet hier Nebenbei. Aber eigentlich will Sie weg. Auch kein Wunder bei den meisten Geschenken Gottes die sich hier unter der Sonne bewegen. Mir dünkt, verschwitzte, dreckige, eingeölte Ausländer auf Fahrrad haben etwas anziehendes? Sollte vielleicht mal besser italienisch lernen. Aber Mädchen, dass ist euer kampf, weggehen zählt nicht, eine muss diesSchlacht schlagen, jede für sich. Ich verabschiedete mich und war auf dem Weg ins nächste Drama, nach Reifenwechsel No3. Also ich hätte besser meinen Weg checken sollen, bzw hätte ich schon vorsichtiger werden sollen als es ziemlich steil nach unten ging auf eine Schotterpiste Nahe dem Tiber. Die A1 war nicht weit weg, die führt parallel zum Tiber geradeaus, aber bisher noch keinen adäquaten Fahrradweg gefunden. Also kaum unten, üble Schotterpiste. Unterwegs hab ich noch mit Michi aus Dresden gechattet, der hat sich auf mein 39.6°C Bild gemeldet, hab ihm ein Selfi geschickt (oben), auf dem sah ich noch ganz frisch aus, keine fünf Meter weiter haute es mich erstmal vom Fahrrad, ich sah den geteerten Weg schon. Pech. Mit der rechten Hand gebremst, zum Glück hielt das Radiusköpfchen, das Handgelenk schmerzte erst (wie schon die ganzen Tage) ist nun aber mittlerweile (heute Abend) besser als je zuvor (die letzte Woche). Also aufgerappelt und weiter, und dann sah ich es. Verdammt ich hatte nicht auf das Navi geschaut, eine ganz böse Zacke im Profil, mit teils 18% bei knapp 40°C mit der Ladung (130 kg insg) an Gepäck. Also hoch, 200 Höhenmeter rauf, ich weiß nicht, unter 2 km. Oben, oben dachte ich mir, das kann nicht gut gewesen sein, beim Bergabfahren schaltete sich dann die Notabschaltung in meinem Kopf ein, mir wurde flau und schummrig. Unten angekommen erstmal Schatten, setzten, Apfel essen, kühlen, kein Netz. Jedoch, zum Glück, war die Straße befahren, ich war nicht alleine, Ich hätte gern mit jemanden geredet bzw telefoniert. Nach einem Neustart ging auch wieder das Handy, hab trotzdem nicht bei meiner Frau angerufen, die Arme, bekommt immer nur den sterbenden Ehemann an den Apparat. Da saß ich nun, sterben tut man alleine, Testament hatte ich ja gestern gemacht. Nach ein paar Minuten wollte ich auch kein Auto mehr anhalten, mein Puls hatte sich auch ein bisschen beruhigt, gut ging es mir definitiv nicht, aber da sitzen bleiben half ja auch nicht weiter, also suchte ich mir eine Übernachtungsmöglichkeit, dumm wie ich war, in 25 km Entfernung. Mein Mobilfunknetz war nicht das Beste, so sah ich nicht wie groß die Stadt um die Ecke war und buchte ein bisschen weiter weg. Dumm. Wenigstens plante ich die Route sorgfältig, der erste Vorschlag der App war sehr wellig, nach einigem hin und her hatte ich einen Weg, zumeist Hauptstraße und nur eine Steigung am Ende. Also dann langsam los, 2 h hatte ich noch bevor es dunkel wurde, natürlich hatte ich schmerzen in der Brust, direkt über dem Herz, jaja. Langsam kam ich in die erste Stadt, riesig, auf einem Berg, viele Hotels, unten eine Apotheke, ich hielt an und ging rein. Ich sah was ich braucht, jetzt musste ich es nur noch der Dame hinter dem Tresen erklären. „Blood Pressure?“; „Blutdruck?“, >Pressione< stand auf dem Gerät, ich probierte es damit und siehe da, es begann ihr zu dämmern. Also rauf auf das Gerät und ich wurde vermessen. Puls hoch (viel Höher als normal, 80 Schläge das ist sehr viel für mich) und der Blutdruck wirklich niedrig. Daher kam also das schummrige Gefühl, sollte wieder anfangen meinen Helm permanent zu tragen, falls ich falle. Ich tippte auf Elektrolytmangel und kaufte mir eine SÜNDHAFT TEURE Dose Mineralstoffe UOMO für den Mann, wenigsten sind die Pillen Blau , ich hoffe es sind Mineralstoffe. Was soll ich den sonst auch machen (mir das beinahe selbe bei Eurospin holen, für 5 % der Kosten?). Die junge Dame wollte mir ja keine Traubenzucker oder andere Elektrolyten feilbieten, dazu hätte ich zum Dottore sollen, klar Perle, so schlecht ist dein englisch auch nicht "elettrolita"! Also verschwitzt, sinkend, geschwächt, geölt und verdammt dreckig war nicht IHR Beuteschema. Dann weiter. Und siehe da, auf dem dämlich langen Weg zur Unterkunft, ein Fahrradladen, der erste den ich seit 3 Tagen am Straßenrand wahrnehme, 2 Schläuche, 1 Faltmantel (CrossKing sogar) und 4 x Energiegel (wovon eins gleich wegging, gratis dazu eine Busta (die ich ablehnte „No Plastic!“ und 1.5 l Eeskaltes Trinkwasser (mit Flasche zurück). Zumindest damit war ich nun versorgt. Der letzte Anstieg machte mir ein bisschen Sorgen, war aber kein Drama, schwitzte vielleicht ein bisschen mehr als sonst, aber eigentlich kein Problem, mein Herz schlug natürlich im Hals (diese Einbildung). Oben war gleich ein Eurospin, wo ich mit dem nötigsten leichtverdaulichem, hochkalorig und salzigem Eindeckte, dann zur Unterkunft. Die Pillen kosteten dort wirklich nur 1.20 € anstatt 27 €, naja sie war nicht blau. Die Unterkunft, ihr Geld nicht wert, hab beim buchen nicht aufgepasst, Fernseher funktioniert genauso gut wie das Internet und insgesamt 2 Steckdosen, zusätzlich kein Netzempfang auf dem Zimmer, aber auf dem Balkon. Also was tun? Wäsche waschen, aufhängen, essen und wundern. Die Tour für morgen geplant. 60 km nach Rom mit Steigungen oder 70 km entlang des Tibers. Schau mir mal wie es mir morgen geht. Also 40°C, Durchfall, 18%, 8 Tage je über 130 km, das ist es was es braucht um an meine Grenzen zu kommen. Meiner Gesundheit zu liebe sollte ich jetzt nicht noch weiter pushen sondern verwalten, sonst kommt tatsächlich noch etwas mit dem Herzen dazu, das will ja keiner. Bin schon am überlegen wie ich nun die Tour umgestalte. Denke morgen sollte ich bis Rom kommen und eventuell einen Ruhetag einlegen? Eventuell Korsika streichen? Schauen wir mal wie es mir morgen geht, ob und wie ich aufwache, oder ob mein Selbstmordversuch von Erfolg gekrönt ist, in diesem Sinne, gute Nacht.




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