Ehrlichkeit und andere Kleinigkeiten
- Ralph

- vor 4 Tagen
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Bin ich zuhause angekommen, zu-hau-se, um Mitternacht. Die Einreise war kein Problem, ein Uber brachte mich vor die Tür, und ich nahm mir fest vor, am nächsten Tag gleich wieder zu arbeiten. Ich war früh wach, machte mir einen Kaffee, und plötzlich spürte ich dieses seltsame Ziehen im Magen. Kurz darauf war klar, dass aus dem Arbeiten nichts werden würde. Magen-Darm, nicht zu knapp. Das mit dem Eimer auf dem Klo sitzen ist ein Erlebnis, das man nur selten haben will.
Zwei Tage lang lag ich flach. Im Dunkeln. Zum Magen-Darm gesellten sich Jetlag, die Luftfeuchtigkeit, die Hitze und diese unterschwellige Schwermut, die man nur kennt, wenn man sich selbst fremd geworden ist. Ich war nicht zuhause. Ich war wieder zurück in Australien. Und es fühlte sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich begann mich zu fragen, wie es so weit kommen konnte. Warum ich hier lag, mit laufender Klimaanlage, Cola und Salzstangen über Uber bestellt, allein in einem Land, das mein Zuhause sein sollte. Ich hatte bis Montag Zeit, wieder klarzukommen. Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe. Es ist auch jetzt noch nicht vorbei. Aber ich funktioniere. Irgendwie. Ich arbeite zwölf Stunden am Tag, zu müde, um zu denken, zu müde, um zu fühlen, zu müde, um zu fliehen. Einfach nur müde. Und vielleicht ist das gut so.
Und als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, habe ich natürlich jemanden kennengelernt. Auf einer Konferenz. Natürlich wohnt sie in Europa. Natürlich ist sie anmutig, wunderschön, hochintelligent, ehrlich, bezaubernd. Natürlich ist es kompliziert. Und natürlich bin ich süchtig nach der Aufmerksamkeit, nach der Zuneigung, nach dem Kontakt. Natürlich macht mich die Distanz fertig, der Zeitunterschied, das ständige Abwägen zwischen Vernunft und Sehnsucht. Der rationale Ralph sagt, das hat keine Zukunft. Der andere, der spaßsüchtige Ralph, sagt: Lass es geschehen. Denk nicht so viel. Genieß es einfach. Natürlich. Easy. Fuck you, man. Euch beide. Ich hasse euch so sehr. Könnt ihr nicht einmal einfach sein? Unkompliziert? Da öffne ich mich ein einziges Mal, spreche eine Frau an, überwinde diese dumme Schüchternheit und natürlich ist sie eine Traumfrau. Und natürlich ist sie unerreichbar weit weg. Großartig. Ich suche solche Situationen wohl. Einfach kann jeder.
Also sitze ich hier und ärgere mich wieder über mich selbst. Unzufrieden, rastlos. Ich fange an, nach Gründen zu suchen, lese meinen Blog und stolpere über Dinge, die mir früher nicht auffielen. Gut, dass ich sie aufgeschrieben habe. Ich versuche, mich und meine Motivation zu verstehen, und merke: Es sind nicht die Sätze, die dort stehen, die mich treffen, sondern die, die fehlen. Die Dinge, die ich bewusst verschweige, die ich nicht ausspreche, nicht niederschreibe, nicht teile. Und das bedeutet, dass ich nicht ehrlich bin. Nicht zu mir, nicht zu anderen. Ich bin es auch niemandem schuldig, aber die Konsequenz ist klar: Ich werde nirgends glücklich. Ich suche kein Glück, ich suche Probleme. Je komplexer, je auswegloser, desto besser. Je schmerzhafter, desto vertrauter. Ich trage diese Konflikte wie Trophäen mit mir herum. Ich bin nicht nur einsam, ich bin allein. Und das ist in Ordnung. Manchmal sehe ich mir alte Bilder an, sehe, wo ich war, wie ich weiterzog, von Job zu Job, von Stadt zu Stadt, von Problem zu Problem und nie wirklich ankam. Ich sehe, wie ich bis heute noch einen Kredit abbezahle, nur um damals von Wiesbaden nach Essen gehen zu können. Ich hatte gerade erst angefangen, war in der Probezeit, hatte nichts als eine mündliche Zusage, und ging trotzdem. Warum? Weil ich es komplizierter wollte. In Essen lebte ich zunächst im Schwesternheim mit drei Frauen aus Vietnam und einer seltsam distanzierten Deutschen, hatte drei verschiedene Wohnungen zumiodest für ein paar tage gemietet, landete am Ende in einer Fünf-Zimmer-Wohnung ohne Küche. Alles kostete Geld, Nerven und Geduld. Im Labor funktionierte anfangs wenig, keine Installationen, keine Geräte, kein Personal. Nach sechs Monaten lief vieles, Analytik, HPLCs, MALDI und der Dank? Ich wurde angeschrien. Erst ab und zu, dann regelmäßig, am Ende täglich. Ich war immer der Schuldige, der Egoist, der, der nur an sich denkt, der der nur und ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Hatte sie recht? Vermutlich. Jedoch irgendwann reichte es. Wieder ein Labor aufgebaut, wieder alles alleine getragen, wieder am Ende der Idiot. Und dann war da noch die Frau, wegen der ich all das getan hatte, den Job hingeschmissen, den Kredit aufgenommen, drei Monate im Schwesternwohnheim gelebt. Und sie? Manipulativ, toxisch, überfordert. Und ich? Ich habe jede Sekunde davon genossen. Weil ich es so gewohnt bin. Kompliziert, ausweglos, intensiv. Ich kann gar nicht anders. Konflikte kann man nicht lösen. Man kann sie nur verschieben, begraben, weitertragen. Sie hören nie auf. Man macht einfach weiter, immer weiter. Ein Konflikt ist wie eine Sucht. Nur wer das Suchtmittel weglässt, wird frei. Macht das Sinn? Wenn man ehrlich ist, ja. Aber ehrlich bin ich nicht immer. Es tut zu weh. Nur manchmal, für einen kurzen Moment, kann ich mir eingestehen, dass auch ich verliere. Und dann gehe ich. Ich gehe oft. Ich rede mir ein, es sei keine Niederlage. Doch jedes Mal, wenn ich ehrlich zu mir bin, weiß ich: Es ist eine. Und so stürze ich mich ins nächste komplizierte, ausweglose, komplexe Abenteuer und so wird das weitergehen, bis ich nicht gestorben bin. Kein Happy End in diesem Leben, in diesem Sinne, da ist noch so viel mehr Ehrlichkeit in mir.
P.S.: Ich könnte den Kredit längst abbezahlen. Kein Problem. Aber ich lasse es laufen. Monat für Monat. Als Erinnerung. Als Mahnung, mich nie wieder in Abhängigkeit zu begeben. Keine Person, keine Bindung, kein Risiko mehr. Dieses Wochenende dachte ich wieder daran, als ich auf Straddie am Strand saß und über die letzten Jahre nachdachte.Ich hörte das Mjusik t und dachte: Ach, fick dich. Ich bin dann mal vorgegangen und du? Lüg dich weiter selbst an.




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